Rede zu TOP 9 der 212. Sitzung des Deutschen Bundestages am Donnerstag, dem 19. Januar 2017
Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Vereinsgesetzes Drucksachen 18/9758, 18/9947, 18/10102 Nr. 12
Beschlussempfehlung und Bericht des Innenausschusses (4. Ausschuss) Drucksache 18/10903
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Es ist in der Tat richtig: Einige Rockergruppen bieten einen Deckmantel für schwere Straftaten wie Menschenhandel, Drogenhandel usw. Aber, Kollege Mayer, wir sind der Auffassung, dass man gegen solche Verbrechen mit dem Strafrecht vorgehen muss und nicht mit einer Symbolpolitik, wie Sie sie in diesem Gesetz dargelegt haben. Gemäß diesem Gesetzentwurf ist es nämlich so, dass vor allen Dingen das Verbot von Kutten und Abzeichen den Bürgern und Bürgerinnen ein Gefühl von Sicherheit vermitteln soll. Wir denken, das ist wirklich ein reines Placebo.
Am strafbaren Handeln von Personen aus der Rockerszene werden Sie mit diesem Gesetz garantiert nichts ändern. Gleichzeitig werden die Rechte vieler nichtkrimineller Mitglieder von Motorradklubs in der Tat eingeschränkt, und das ist eben nicht tragbar. Darum trägt die Linke dieses Gesetz nicht mit.
(Beifall bei der LINKEN)
Meine Damen und Herren, was soll es denn nutzen, bestimmte Symbole der Rockerszene aus der Öffentlichkeit zu verbannen? Die Rocker werden dann auf Ersatzsymbole, auf Zahlen- oder Farbencodes, ausweichen. Der einfache Polizist wird dann in noch stärkerem Maße heillos überfordert sein, die verschiedenen Rockergruppen zu identifizieren und festzustellen, welche verboten sind und welche nicht. Das hat übrigens der Redakteur der Bikers News, Michael Ahlsdorf, in der Anhörung doch sehr deutlich gemacht. Er ist langjährig in der Szene unterwegs, und er hat eben genau auf dieses Problem hingewiesen. Da frage ich mich, warum Sie Ihre Position hier immer noch vertreten.
Es ist auch überhaupt keine Frage: Wenn ein Rockerklub in Gänze kriminell ist, gehört er verboten.
(Beifall bei der LINKEN)
Doch wenn sich dieser Nachweis gegen den gesamten Klub strafrechtlich nicht erbringen lässt, muss man gegenüber den einzelnen Mitgliedern die Unschuldsvermutung gelten lassen. Das ist der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, und dabei sollten wir auch bleiben.
(Beifall bei der LINKEN)
Doch nicht so in diesem Gesetzentwurf: Wenn nur eine einzige Ortsgruppe eines bundes- oder gar weltweit organisierten Motorradklubs wegen krimineller Verstrickung verboten wird, sollen alle anderen Mitglieder deutschlandweit das gemeinsame Symbol nicht mehr benutzen dürfen. Das ist in unseren Augen ganz klar Sippenhaft und damit unzulässig. Hier wird auf verfassungsrechtlich sehr problematische Art und Weise in Grundrechte wie die Vereinigungsfreiheit eingegriffen. Darauf haben im Übrigen auch Experten bei der Anhörung im Innenausschuss hingewiesen. Ich sage es einmal ganz klar: Die Linke steht in dieser Frage eindeutig an der Seite all jener Biker, die sich nichts zuschulden kommen lassen.
Übrigens ist es nicht angemessen, wenn man in diesem Gesetzentwurf hier versucht, eine neue Lex Rocker zu präsentieren; denn im Grunde genommen treffen diese Regelungen eben auch andere Bevölkerungsgruppen. Ich denke da zum Beispiel an die friedlichen Fußballfans, die im Übrigen gleiche Symbole wie manche Hooligans haben. Auch hier muss man vorsichtig sein; denn es trifft, wie gesagt, eben nicht nur die Rocker, sondern auch andere Gruppen.
Man muss die Rockerszene mit ihrem martialischen Auftreten nicht mögen. Aber nicht jeder, der sich durch seinen Lebensstil außerhalb der bürgerlichen Moral stellt, ist deswegen gleich ein Schwerverbrecher. Die Art und Weise, wie hier im Gesetz und in den Reden, übrigens gerade auch in der letzten Debatte – Sie haben es heute etwas differenzierter gesagt, Kollege Mayer -, eine ganze Subkultur diffamiert und damit auch kriminalisiert wird, ist einfach infam.
Dem Bundestag liegt im Übrigen eine Petition vor. 6 000 Menschen aus der Rockerszene haben sie eingebracht, und 20 000 Unterschriften haben sie für diese Petition gesammelt. Die Unterzeichner wenden sich gegen dieses Gesetz und plädieren vor allen Dingen dafür, keine generelle Kriminalisierung vorzunehmen. Ich frage Sie: Würden 20 000 Menschen ihre Daten beim Bundestag abgeben, wenn sie alle kriminell wären? Es ist im Übrigen bezeichnend für diese Koalition, dass sie nun ein solches Gesetz im Eiltempo durchzieht, anstatt abzuwarten, was der Petitionsausschuss dazu zu sagen hat.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich rate der Koalition und insbesondere der SPD, damit entspannt umzugehen. Akzeptieren Sie, dass andere Menschen ihre Freizeit nicht auf dem Golfplatz oder dem Tennisplatz verbringen, sondern sich in eine Lederkluft schmeißen. Verzichten Sie in diesem Wahljahr auf Aktionismus, wie er in diesem unsinnigen Gesetzentwurf zum Ausdruck kommt!
Ich danke Ihnen.
(Beifall bei der LINKEN)