Artikel: Rigides Grenzregime

Die EU-»Grenzschutzagentur« Frontex wirbt für sich mit dem Leitspruch »Libertas – Securitas – Justitia«, Freiheit, Sicherheit, Gerechtigkeit. Die hehren Worte haben nicht viel mit der Realität zu tun. In der Öffentlichkeit wurde Frontex vor allem bekannt durch militärisch-polizeiliche Einsätze im ägäischen, italienischen und spanischen Mittelmeerraum sowie im Atlantik entlang der westafrikanischen Küste. Mit Schnellbooten werden Flüchtlinge innerhalb eines 200-Meilen-Bereichs zwischen dem Senegal und den Kanarischen Inseln teilweise gewaltsam von ihren Fischerbooten geholt und entgegen internationalem Recht, das solche Aktionen auf hoher See verbietet, nach Afrika »zurückgeführt«.

Da dieser Einsatzschwerpunkt an der EU-Südküste bisher im öffentlichen Fokus stand, verwundert zunächst, daß sich die Frontex-Zentrale weitab in der polnischen Hauptstadt Warschau befindet. Bei näherer Betrachtung liegt dies durchaus in der unerbittlichen Logik des Konzepts einer hermetisch abgeschirmten Festung Europa. Denn zu den Aufgaben von Frontex gehört die Hilfeleistung bei der Sicherung der neuen Schengen-Außengrenzen. Und seit dem 21.Dezember 2007 verläuft ein großer Teil dieser Grenze zwischen Polen und der Republik Belarus sowie zwischen Polen und der Ukraine. Und da macht der Standort Warschau durchaus Sinn.

Mehr Kontrollen
Frontex wirkt mit bei Operationen an der polnischen Landesgrenze (unter deutscher Beteiligung), entsendet aber auch Beobachter in das Grenzgebiet zwischen der Ukraine und Moldawien, also außerhalb des EU-Raumes. Damit wird der Druck auf die betroffenen Staaten erhöht, die Kontrollen zu verstärken. Die »grüne Grenze« zwischen Belarus und Polen ist dicht. Auch zwischen Polen und der Ukraine wurden Grenzzäune hochgezogen und Grenzstreifen eingerichtet, die mit erheblichem personellen Aufwand durch das Militär bewacht werden. Zum Einsatz kommen Wärme­bildkameras oder Leuchtsignalminen, die automatisch ausgelöst werden, wenn Menschen sie beim Überschreiten des Grenzstreifens berühren. Die Ukraine hat »Bürgervereine« organisiert, die den Grenzbeamten helfen sollen, illegalisierte Personen zu entdecken. Sogar Schüler werden als »junge Freunde des Grenzschutzes« instrumentalisiert.

Dabei hört man in der Ukraine durchaus kritische Bemerkungen wie: »Unser Problem ist nicht die illegale Ausreise, sondern allenfalls die illegale Einreise.« Das heißt im Klartext: Den Aufwand, mit Kosten in Milliardenhöhe die Grenzen zu sichern, betreibt die Ukraine hauptsächlich im Interesse der EU, weil man sich ihr gegenüber eine Beitrittsperspektive erhalten will und daher die EU-Abschottungspolitik mitträgt.

Das eigene Interesse wäre eigentlich genau gegenteilig: Die Menschen in der westlichen Ukraine werden durch die Mitgliedschaft Polens im Schengener Raum in ihrer Reisefreiheit massiv eingeschränkt. Der Kleinhandel im Grenzbereich in der Region zwischen dem ukrainischen Lwiw (früher Lwow/Lemberg) und dem polnischen Przemysl ist praktisch zum Erliegen gekommen. Ein Abkommen über den »kleinen Grenzverkehr« ist von der EU-Kommission als europarechtswidrig beanstandet worden. Mit Straßenblockaden haben daher die Menschen in der Westukraine dagegen protestiert, daß sie durch das Schengen-Regime von einem Tag auf den anderen von Besuchen in ihrem Nachbarland ausgeschlossen sind. Visa zu beantragen ist aufwendig und teuer.

Langes Warten
Auch die Polen in der Grenzregion fühlen sich benachteiligt. Viele haben Verwandte, die als Angehörige der polnischen Minderheit in der Ukraine leben. Selbst diese ukrainischen Staatsangehörigen brauchen nunmehr ein Visum für einen Besuch in Polen. In umgekehrter Richtung besteht Visafreiheit. Daher konnten die Polen bisher mühelos zu günstigen Einkäufen von Sprit, Zigaretten und Alkohol in die Ukraine fahren. Damit ist es vorbei, denn wegen der strengen Grenzkontrollen sind Wartezeiten von bis zu sechs Stunden für Pkw-Reisende an den Übergängen Korczowa und Medyka keine Seltenheit. Denn unter den gestrengen Augen der EU wollen sich weder die polnischen Grenzpolizisten noch das ukrainische Militär Laschheiten bei der Grenzsicherung nachsagen lassen.

Damit hat sich im letzten halben Jahr wieder einmal die bei früheren Verschiebungen der Schengen-Außengrenzen gewonnene Erfahrung bestätigt, daß das System zwar Reiseerleichterungen im Inneren bringt, zugleich aber eine Mauer nach außen aufgerichtet wird. Gewachsene Strukturen vor Ort werden zerstört. Statt Nachbarschaft gibt es Ausgrenzung. Aber dies alles hat natürlich auch schwerwiegende Folgen über den betroffenen Grenzraum hinaus. Menschen, die in ihrer Not in Europa Hilfe suchen wollen, wird dies verwehrt. Flüchtlinge und Migranten haben nahezu keine Chance mehr auf eine bessere Zukunft in der EU.

(Das Bild zeigt Ulla Jelpke beim Besuch der polnisch-ukrainischen Grenze mit einer Delegation des Innenausschusses des Deutschen Bundestages; Quelle: http://www.bieszczadzki.strazgraniczna.pl/?selart12=3#art3 )