Rede zu TOP 23 der 219. Sitzung des Deutschen Bundestages am Freitag, dem 17. Februar 2017
Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches – Ausweitung des Maßregelrechts bei extremistischen Straftätern Drucksache 18/11162
Ulla Jelpke (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Gesetzentwurf der Bundesregierung verfolgt in der Tat das Ziel, sogenannten Gefährdern
(Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Da weiß man schon gleich, was kommt, wenn es heißt „sogenannte Gefährder”!)
nach der Haftentlassung die elektronische Fußfessel anzulegen bzw. in Sicherheitsverwahrung zunehmen.
Betroffen sind dabei Personen, die nicht wegen vollzogener Terroranschläge verurteilt wurden, sondern wegen Vorbereitungshandlungen, die sich also zum Beispiel in einem Terrorcamp aufgehalten haben oder wegen Finanzierung, Unterstützung oder Werbung für eine terroristische Gruppierung verurteilt wurden.
(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Das ist genauso strafbar! – Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Es geht um Prävention!)
Die Linke lehnt diese Vorstöße aus zwei Gründen ab:
(Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Was für eine Überraschung!)
Sie versprechen, erstens, überhaupt keine Wirkung, und sie sind, zweitens, unverhältnismäßig, weil sie viel zu tief in rechtsstaatliche Grundsätze eingreifen.
(Beifall bei der LINKEN)
Um Menschen zu verfolgen, die sich Terrorgruppen anschließen oder diese unterstützen, gibt es bereits entsprechende strafrechtliche Mittel.
Durch Verabschiedung dieses Gesetzentwurfs würden Personen bedroht, von denen man lediglich annimmt, sie seien auch nach der Haftentlassung noch gefährlich. Um als Gefährder eingestuft zu werden, genügt es bereits, wenn aus Polizeisicht – ich zitiere – „bestimmte Tatsachen die Annahmen rechtfertigen“, eine Person werde „Straftaten von erheblicher Bedeutung“ begehen. Es handelt sich um eine reine Prognose, deren Zuverlässigkeit nicht bekannt ist. Auf dieser Grundlage freiheitseinschränkende Maßnahmen wie Fußfesseln oder Sicherheitsverwahrung zu fordern, ist unverhältnismäßig und widerspricht rechtstaatlichen Prinzipien, wie zum Beispiel der Unschuldsvermutung.
(Beifall bei der LINKEN)
Laut Gesetzesbegründung soll die Fußfessel verhindern, dass jemand für eine terroristische Vereinigung wirbt, ihr Finanzen beschafft oder sie unterstützt. Aber ich sehe wirklich nicht, wie ein elektronisches Band um das Fußgelenk jemanden davon abhalten soll, Gelder zu sammeln, im Internet zu agitieren oder sich mit anderen Salafisten zu treffen, um sie für den „Islamischen Staat“ anzuwerben.
(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Dafür haben wir die Vorratsdatenspeicherung!)
Weiter heißt es in der Gesetzesbegründung: Mit der Fußfessel könnte die Weisung verbunden werden, bestimmte Bereiche wie Bahnhöfe – wir haben es eben schon gehört -, Flughäfen oder Sportstadien zu meiden, um dort Anschläge zu verhindern. – Glauben Sie denn im Ernst, Anis Amri hätte den Anschlag in Berlin unterlassen, wenn ihm ein Gericht verboten hätte, zum Weihnachtsmarkt zu gehen?
(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Der wäre gar nicht aus seiner Stadt rausgekommen!)
Das ist doch einfach unsinnig. Es gibt in Berlin und überall, gerade in den Metropolen, sehr viele Plätze, wo viele Menschen sind. Jederzeit können gegen diese Menschen Anschläge verübt werden. Deswegen ist solch eine Regelung einfach unnütz.
(Marian Wendt (CDU/CSU): Wieso schützen Sie die Täter? Das ist zynisch!)
Der Gesetzentwurf verweist auf eine Studie – das ist äußerst interessant -, die angeblich die Aufenthaltsüberwachung als taugliches Mittel beschreibt. Ich habe mir diese Studie auf der Homepage des Justizministeriums einmal genauer angeschaut. Ich zitiere jetzt aus der Studie:
Eine gesicherte Schlussfolgerung zu der Wirksamkeit der elektronischen Aufenthaltsüberwachung im Hinblick auf die Rückfallhäufigkeit ist nicht möglich.
Die Autoren der Studie lehnen eine Ausweitung der Aufenthaltsüberwachung mittels Fußfessel auf weitere Tätergruppen ganz klar ab. Es ist schon ziemlich dreist, finde ich, diese Studie in der Begründung des Gesetzentwurfes anzuführen, obwohl dort genau das Gegenteil steht und auch wieder betont wird, dass es ein Grundrechtseingriff in viel zu großem Ausmaß ist.
Ich mache Ihnen jetzt einige Vorschläge, die zeigen, wie wir uns vorstellen, wie man gegen Terroristen vorgehen könnte.
(Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Tee trinken!)
Als Allererstes sollten wir wirklich einmal den Begriff „Gefährder“ definieren. Das ist auch in diesem Gesetzentwurf nicht gemacht worden. Bislang entscheidet allein die Polizei, und zwar in jedem Bundesland, nach eigenem Gutdünken. Auch das könnte man ändern.
Zweitens brauchen wir eine Untersuchung zur Wirksamkeit der Fußfessel; denn solch eine Untersuchung gibt es nicht.
Drittens müssen wir Alternativen prüfen. Wenn ein Gericht schwerwiegende Gründe findet, kann polizeiliche Observation angeordnet werden. Dann sieht man auch, was der Verdächtige macht. An Personal scheint es hier nicht zu mangeln. Denn selbst die Bundesregierung geht davon aus, dass es sich hier nur um eine Handvoll Personen pro Jahr handelt.
(Dr. Patrick Sensburg (CDU/CSU): Sieben Minuten sind jetzt rum!)
Was aber nicht sein darf: auf bloßen Verdacht hin die Grundrechte einzuschränken und dabei zu wissen, dass es gar nichts nützt. Das ist reine Symbolpolitik zum Schaden unserer Demokratie. Denken Sie bitte noch einmal darüber nach, ehe Sie dem Rechtsstaat Fußfesseln anlegen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))