Nach über zweijähriger Verhandlungsdauer beschloß der EU-Rat der Innenminister am Donnerstag die »Rückführungsrichtlinie«. Es ist die erste Regelung im Bereich Migrationspolitik, bei der das EU-Parlament voll beteiligt wurde. Der lange Zeitraum der Kompromißfindung erklärt sich aus den sehr unterschiedlichen Vorstellungen der Innenminister der inzwischen 27 EU-Mitgliedsstaaten. Denn es geht um weit mehr als nur die Abschiebehaft und ihre Dauer. EU-weit sollen die Regeln und Verfahren harmonisiert werden, nach denen der Aufenthalt von »illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen« (zwangsweise) beendet werden soll. Dazu zählen nicht nur illegal eingereiste Migranten, sondern beispielsweise auch abgelehnte Asylbewerber.
Die Bundesregierung hat in diesem Verhandlungsmarathon zwischen den Innenministern und dem Europäischen Parlament dafür gesorgt, die eigenen Standards EU-weit durchzusetzen. Bislang kennt nur Deutschland eine Abschiebehaft von bis zu 18 Monaten, während zum Beispiel in Spanien bislang eine Höchstdauer von 40 Tagen galt. In der Richtlinie wurde die deutsche Regelung nun voll übernommen.
Wenn eine Abschiebung aus »technischen« Gründen oder wegen Krankheit des Ausreisepflichtigen nicht möglich ist, soll es den Mitgliedsstaaten ermöglicht werden, die Betroffenen besonders zu kontrollieren – durch regelmäßige Meldepflicht bei der zuständigen Behörde, Hinterlegen einer Kaution oder die Festlegung eines bestimmten Aufenthaltsortes. In der Bundesrepublik gibt es bereits jetzt entsprechende »Ausreisezentren«. So sollen die Betroffenen mürbe gemacht werden, bis sie »freiwillig« das Land verlassen.
Die in der Richtlinie als »vorläufiger Gewahrsam« verharmloste Abschiebehaft soll verordnet werden, wenn »Fluchtgefahr« besteht. Bei der Anordnung von Abschiebehaft ist sogar eine Verschlechterung der deutschen Rechtslage zu befürchten, denn sie kann auch von Behördenmitarbeitern verhängt werden und muß erst nach drei Tagen von einem Gericht bestätigt werden. In Deutschland war diese rechtsstaatliche Ungeheuerlichkeit– Freiheitsentzug durch die Ausländerbehörde ohne richterlichen Beschluß – zwar schon im Sommer 2007 eingeführt worden. Doch da hieß es noch, daß ein Richter »unverzüglich«, also am gleichen Tag, diese Anordnung überprüfen müsse. Im Bundesinnenministerium wird man sich freuen, Brüssel mal wieder den Schwarzen Peter für eine weitere Verschlechterung der deutschen Rechtslage zuschieben zu können. Der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, Peter Altmaier (CDU), brachte den Erfolg der deutschen Abschiebepolitik auf EU-Ebene auf den Punkt: »Wir haben im Sinne Deutschlands erreicht, daß die Abschiebungen von denen, die wir loswerden wollen, in Zukunft erleichtert werden.« Am deutschen Wesen soll Europa genesen – zu Lasten von Flüchtlingen und Migranten, die noch ein Stück weiter entrechtet werden.
Ulla Jelpke
Artikel erschien in junge welt vom 6.6.08